Die zwei Gebäude mit dem aussagekräftigen Namen The Hole (Foto) stellten eine Steigerung in der Gewalttätigkeit der scientologischen Sea Org dar. Im „Loch“ wurden bis zu 100 Führungskräfte von Scientology eingesperrt und teilweise jahrelang „verwahrt“. Deren Alltag war geprägt durch Gewaltexzesse untereinander und durch unterschiedliches Aufsichtspersonal, erzwungene „Beichten“ und bizarre Spiele.

Geleitet bzw. orchestriert wurde das Ganze von David Miscavige, der auch selbst gerne zuschlug, und seiner Ehefrau Shelly. Sinn und Zweck: Die Executives, alle Mitglieder der Sea Org, sollten gebrochen und zu reinen „Dienstrobotern“ gemacht werden, die an- und ausgeschaltet werden können.

Blog The Hole David Miscavige Shelly Miscavige
David und Shelly Miscavige …

Einigen der Insassen gelang dann die Flucht, aber die meisten sind nach wie vor in der Sea Org. Wobei Flucht, wie das Beispiel von Debbie Cook zeigt, auch relativ ist: Zuerst trat diese noch öffentlich gegen Scientology auf, um sich kurze Zeit später mit der „Kirche“ außergerichtlich zu einigen. Sprich: Sie bekam einige Millionen und verschwand als Gegenleistung ins Nichtvorhandensein – und Schweigen.

Wobei man generell vorsichtig sein muss, jetzt nur die sogenannten Opfer der Gewaltorgien der Miscavige‘ zu sehen. Sämtliche Insassen waren jahrelang Mitglieder der Sea Org und es dürfte sie daher mehrheitlich nicht überrascht haben, was ihnen nun selbst widerfuhr. Sie hatten es zuvor für richtig empfunden bzw. selbst in die Wege geleitet, was David Miscavige spätestens seit 1981 „unternahm“, um die Sea Org in seinem Sinne zu gestalten – und dabei war er nicht zimperlich.

L. Ron Hubbard brachte diese Gewalttätigkeit bereits Ende der 50er-Jahre ins Spiel, als er sein berüchtigtes Handbuch des Rechts (PDF: Handbuch des Rechts) schrieb. In den 60er-Jahren gründete er den scientologischen Geheimdienst und danach die Sea Org, die dem Geheimdienst einen rücksichtslosen bzw. gewaltbereiten „Arm“ bot.

Die Diktion war darauf ausgerichtet, jedem und allem entgegen zu treten, der/das gegen Scientology gerichtet war – man muss nur das Hubbardsche Fair Game (Freiwild) nehmen, um zu wissen wohin die Reise geht: „Darf seines Eigentums beraubt oder (in jeder Weise durch jeden Scientologen) verletzt werden, ohne dass dies disziplinarische Folgen für den Scientologen hat. Darf reingelegt, verklagt, belogen oder zerstört werden.“

Blog Sea Org 1
„Ethikoffizier“ von Scientology …

Schon in den 60er-Jahren, als Hubbard mit seiner „Seemacht“ noch die Meere befuhr, war es üblich, dass sogenannte „Ethikoffiziere“ patrollierten und im Bedarfsfall ein Mitglied über Bord warfen, wenn dieses gegen die Regeln verstoßen hatten.

Blog The Hole Sea Org 2

Auch dass missliebige Crew-Mitglieder in den Ankerkasten gesperrt wurden, war weniger die Ausnahme als die Regel. Was auch für Kinder galt, da es bei Scientology ohnehin keine Kinder gibt, sondern nur „Thetane in kleinen Körpern“.

1974 brachte Hubbard seinen Zynismus auf den Punkt, indem er das sogenannte Rehabilitation Project Force (RPF) schuf. Hört sich nach Rehabilitierung an, ist aber ein knallhartes Straflager – hier die Unterlagen, die WikiLeaks zur Verfügung gestellt hat …

Hier auch als PDF: The RPF Series

Prof. Stephen A. Kent von der University of Alberta verfasste dazu eine Broschüre …

Hier ebenfalls als PDF: Kent – Gehirnwaesche im RPF

Und als Höhepunkt des Ganzen schuf David Miscavige dann eine Steigerung des RPFs bzw. des RPF des RPFs und Rinder, Rathbun & Co. kamen in dessen „Genuss“. Hier ein Video der Tampa Bay Times dazu …

Dazu noch zwei Artikel in Village Voice und Tampa Bay Times.

Aus meiner Sicht ist eine andere Frage wesentlicher: Warum macht jemand freiwillig – zumindest über weite Strecken – dabei mit?

Dabei darf man den trivialsten Grund nicht vergessen: Fast jeder „Bestrafte“ hat Familienmitglieder und Freunde in der Sea Org, die er nach dem Disconnection-Gesetz von Scientology nicht mehr sehen dürfte, wenn er flüchten würde.

Sehr viele von ihnen sind auch bereits in jungen Jahren in die Sea Org eingetreten und kennen nur die Welt des Gehorchens und letztendlich der Gewalt, während sie sich gleichzeitig als Elite fühlten.

Dazu kommt der Faktor Angst: Vor allem führende Mitglieder der Sea Org werden regelmäßig Verhören mit dem scientologischen E-Meter (SecChecks) unterzogen.

Blog Sea Org
David Miscavige und seine Paramilitärs ….

Der wesentlichste Aspekt ist aber die Indoktrination, die z.B. in der Schrift Die Funktionsfähigkeit von Scientology erhalten zusammengefasst ist. Dieses „Gesetz“ von L. Ron Hubbard stammt aus dem Jahr 1965 und findet sich auf jedem Kurs von Scientology – und beinhaltet u.a. die „10 Gebote“: „Eins: Die korrekte Technologie haben. Zwei: Die Technologie kennen. Drei: Wissen, dass sie korrekt ist. Vier: Die korrekte Technologie korrekt lehren. Fünf: Die Technologie anwenden. Sechs: Dafür sorgen, dass die Technologie korrekt angewendet wird. Sieben: Inkorrekte Technologie ausmerzen. Acht: Inkorrekte Anwendungen ausmerzen. Neun: Jeder Möglichkeit inkorrekter Technologie die Tür verschließen. Zehn: Inkorrekter Anwendung die Tür verschließen

Eins ist getan worden. Zwei ist von vielen erreicht worden. Drei wird von demjenigen erreicht, der die korrekte Technologie ordnungsgemäß anwendet und beobachtet, dass sie auf diese Weise funktioniert. Vier wird jeden Tag in den meisten Teilen der Welt erfolgreich getan. Fünf wird beständig jeden Tag erreicht. Sechs wird von Ausbildern und Kursüberwachern beständig erreicht. Sieben wird von einigen getan, ist aber ein schwacher Punkt. An Acht wird nicht hart genug gearbeitet. Neun wird durch die ”vernünftige” Einstellung der nicht ganz so hellen Köpfe behindert. Zehn wird selten mit genügender Wildheit [Härte] getan. Sieben, Acht, Neun und Zehn sind die einzigen Stellen, an denen sich die Scientology in irgendeinem Bereich festfahren kann.“

Dann wird es im gewohnten Hubbard-Stil schwülstig: „Erkennen Sie also, dass wir aus dem Schlamm herausgeklettert sind – durch welch gutes Glück und gesunden Menschenverstand auch immer – und weigern Sie sich, wieder in ihn zurückzusinken. Sorgen Sie dafür, dass die obigen Punkte Sieben, Acht, Neun und Zehn erbarmungslos befolgt werden, und wir werden niemals gestoppt werden. Werden Sie in dieser Sache nachsichtig, und wir werden untergehen. …

„Wenn sich jemand für einen Kurs einschreibt, dann betrachten Sie ihn als Mitglied für
die Dauer dieses Universums – lassen Sie niemals eine ‚aufgeschlossene‘ Einstellung zu.
… Wenn sich jemand eingeschrieben hat, so ist er an Bord, und wenn er an Bord ist, dann ist er zu denselben Bedingungen hier wie alle anderen von uns – gewinnen oder beim Versuch sterben.“

„Wir spielen nicht irgendein unbedeutendes Spiel in der Scientology. Es ist nicht nett
oder etwas, was man in Ermangelung eines Besseren tut.
Die gesamte qualvolle Zukunft dieses Planeten – jedes Mannes, jeder Frau und jedes
Kindes darauf – und Ihr eigenes Schicksal für die nächsten endlosen Billionen Jahre hängen davon ab, was Sie hier und jetzt mit und in der Scientology tun.
Dies ist eine tödlich ernste Tätigkeit. Und wenn wir es versäumen, jetzt aus der Falle
herauszukommen, dann haben wir vielleicht niemals wieder eine weitere Chance.
Denken Sie daran, in all den endlosen Billionen Jahren der Vergangenheit ist dies unsere
erste Chance, es zu schaffen. Verpfuschen Sie es jetzt nicht, weil es Ihnen unangenehm
oder unsozial vorkommt, Sieben, Acht, Neun und Zehn durchzuführen.“

Ich weiß, es ist von außen nur sehr schwer vorstellbar, was solche Worte bei „Gläubigen“ bewirken können. Scientologen glauben an das – und Mitglieder der Sea Org glauben es noch viel mehr und haben überdies eine „Dienstverpflichtung“, die eine Milliarde Jahre läuft.

Bezüglich der Mechanismen, die da wirken, möchte ich Die Welle, das Stanford-Prison- und das Milgram-Experiment in Erinnerung rufen.

Abschließend noch eine ARD-Dokumentation aus dem Jahr 1999, die sich mit dem Straflager von Scientology beschäftigte, das sich damals in Happy Valley befand. Ich möchte noch anmerken, dass das die erste Doku war, die ich mir heimlich als aktiver Scientologe angesehen hatte – ich bin dann 2002 ausgetreten …

Abrundend noch ein kleiner Film über das Innenleben des RPFs …