Prägte L. Ron Hubbard die ersten Jahrzehnte von Scientology, ist es David Miscavige, der im Psychokult die letzten bestimmt. Während Hubbard noch ein Sektenguru des „alten Schlages“ war, der sich über die sprudelnden Gelder erfreute und der vielen Möglichkeiten, seinen Hirngespinnsten nachzujagen, ist Miscavige ein anderes Kaliber,

Den grundlegenden Unterschied zwischen Hubbard und Miscavige sehe ich darin, dass der Erstere zwar auch ein cholerischer Egomane war, Miscavige aber dazu einen ausgeprägten Machtwillen besitzt. Das paranoide Grundbild teilten sich die beiden.

Man muss sich deren Biographie ansehen, um das jeweilige Tun richtig einordnen zu können. Hubbard war ein klassisches Kind seiner Zeit, der rasch entdeckte, dass seine blühende Phantasie gepaart mit Größenwahn in Geld umsetzbar war. Viel zu wenig Geld für seine Ansprüche und so schwenkte er auf die Gründung eines Kultes um, den er sukzessive zu einer Geldvermehrungsmaschine ausbaute. Nachdem er diese in Gefahr gesehen hatte, gründete er in den 60er-Jahren zuerst einen Geheimdienst und dann seine effektivste „Waffe“: Die Sea Org, ohne die es Scientology schon lange nicht mehr geben würde.

In Miscavige‘  ersten Jahren deutete wenig auf seine spätere „Karriere“ hin – aber dann kreuzten sich die Wege von Hubbard und Miscavige. Während der Kultgründer bereits in den letzten Zuckungen lag, war Miscavige gerade 16-jährigig den Paramilitärs beigetreten und wurde innerhalb kürzester Zeit zum Protegé Hubbards. Obwohl nur etwas mehr 155 cm groß, überzeugte er Hubbard, dass er Dinge „go right“ machen konnte. Und das war und ist bei Scientology allemal ausreichend, um in eine Spitzenposition zu gelangen.

Blog 28 Highwinds Ausschnitt
L. Ron Hubbard und David Miscavige …

Ende der 70-er-Jahre lag bei Scientology sehr vieles im Argen. Einerseits versuchte man in den  USA gerade wieder Fuß zu fassen und steckte Millionen in diverse Immobilien in Clearwater und Los Angeles, andererseits platzte gerade Operation Snow White samt FBI-Untersuchungen, Gerichtsverfahren und dem Umstand, dass sich Hubbard in den Untergrund flüchtete, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen.

Derart war ein Vakuum entstanden, das nach einer „ordnenden Hand“ rief. Miscavige musste sich nur Schritt für Schritt vorarbeiten, wechselnde Allianzen eingehen, um irgendwann ganz oben zu stehen – was er auch tat.

Das Neujahrsfoto 1990 zeigte seine Parteigänger nach dem erfolgreichen Putsch …

TopOfScientology1990
Vonlinks: Kurt Weiland (Commanding Officer OSA Int.), Mike Rinder (LRH Personal PR Officer Int.), Janet Light (Director of IAS Administrations), Marc Yager (Inspector General for Admin RTC), David Miscavige (Chairman of the Board RTC), Norman Starkey (Trustee of LRH’s estate RTC), Ray Mithoff (Inspector General for Tech RTC), Mark Rathbun (Inspector General for Ethics RTC), Guillaume Lesevre (Executive Director Int.) und Ronnie Miscavige (Marketing Executive Int.), 1990

Und wer davon übrig geblieben ist …

Blog David Miscavige Top Of Scientology 1990
Gelb = The Hole, rot = geflüchtet oder ausgeschieden …

Letztendlich ist es müssig, zu versuchen, das Phänomen Miscavige zu erklären – es gibt nämlich gar keines. Er hat lediglich das Vermächtnis Hubbards um- bzw. fortgesetzt. Man muss vor allem die geheimen Schriften des Scientology-Gründers studieren und zu Ende denken – dann sieht man alles legitimiert, was David Miscavige in den letzten 30 Jahren fabriziert hat.

Ich würde meinen, dass Miscavige der „bessere“ Hubbard ist, da er dessen Ideen wirklich 100 % umsetzt – und als Sahnehäubchen noch seine eigenen einbringt.

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Der Wirtschaftsjournalist Wolf Lotter sprach 1994 im Rahmen einer Reportage des österreichischen Magazins Profil mit David Miscavige. Es war eines der ganz wenigen Print-Interviews, die Miscavige weltweit jemals gegeben hat – insgesamt waren es genau zwei. 2010 interviewte ich wiederum Lotter dazu …

Wenn Sie sich an die Situation des Interviews zurückerinnern: Wie war ihr Eindruck, ihr Gefühl in Bezug auf die Person von David Miscavige?

Wolf Lotter: „Wer glaubt, dass David Miscavige oder andere Scientology-Größen irgendwie ‚abgedreht‘ sind, der irrt sich. Das sind Profis. Ich hatte den klaren Eindruck, mit Marketingprofis an einem Tisch zu sitzen. Kühl, professionell und unverbindlich. Also, es ist nicht so, dass er im Gespräch explodiert, wenn ein Journalist ihm aus der ziemlich langen Liste belastender Aussagen über Scientology vorliest. Stellen Sie sich einfach den Vorstandsvorsitzenden eines weltweit arbeitenden Konzerns vor. Und stellen Sie sich vor, dem sagt man beispielsweise, das in einer seiner Fabriken Giftgas ausgetreten ist. Der Mann wird wahrscheinlich weder zu heulen anfangen noch zu toben, sondern sich ruhig hinsetzen und sagen: ‚Darüber haben wir keine qualifizierte Information‘ und auch wenn sie Zeugenaussagen, Bilder, Fotos und andere Dokumente vorlegen, solange die ganze Geschichte abwiegeln, wie seine Anwälte durchhalten.

Es ist ja merkwürdig, dass so viele Leute glauben, wenn es um Sekten, Kirchen, Religionen oder andere Unternehmen aus der Übersinnlichkeits-Industrie geht, dass deren Repräsentanten sozusagen vom eigenen ‚Spirit‘ ergriffen sind. So ist das nicht. Die handeln als kühle Manager. Und so reden sie auch.“

Wie stand es mit Sympathie oder Antipathie?

Wolf Lotter: „Nun, ich habe vor dem Interview eine Reihe von ziemlich kritischen Beiträgen über Scientology veröffentlicht. Aber Scientology konnte mir nichts anhaben. Dass das nicht gerade dazu führt, dass man sich ineinander verliebt, können Sie sich vielleicht vorstellen. Aber nochmals: Ich kann nicht behaupten, dass mir eine offensive Aggressivität, so wie ich Sie durchaus aus den Briefen und Reaktionen von Scientology auf meine Arbeit kannte, bei meinem Interview in Los Angeles entgegen strahlte. Man war sachlich.“

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Warum glauben Sie, hat er Ihnen bzw. dem Profil dieses Interview gewährt? Miscavige tritt ja sonst öffentlich kaum auf?

Wolf Lotter: „Dass sich Scientology darauf eingelassen hat, wundert mich eigentlich heute noch. Ich kann nur vermuten, dass es eine Rolle gespielt hat, dass zwei hochrangige Scientologen in der unmittelbaren Umgebung von Miscavige Österreicher waren, der damalige Chef des Büro für Spezielle Angelegenheiten Kurt Weiland beispielsweise. Ein Spaßvogel, wie er im Buche steht: Er begrüßte mich am Hollywood Boulevard mit einem breiten ‚Grüß Gott‘.“

Hatten Sie während des Interviews das Gefühl, dass er bestimmten Themen bewusst auswich bzw. sie ihm unangenehm waren? Wenn ja, bei welchen Themen hatten Sie dieses Gefühl?

Wolf Lotter: „Nicht das Gefühl, sondern die sichere Überzeugung. Alles, was Scientology vorgeworfen wird, ist im Grunde nach Miscavige nichts weiter als feindliche Propaganda. Das sind natürlich die Grenzen des Machbaren eines Frage-Antwort-Interviews: Wenn der Gesprächspartner grundsätzlich alle Themen, die kritisch sind, mit dem Hinweis abblockt, das sei erfunden, übertrieben oder schlicht eine Gemeinheit, dann können Sie im Grunde nichts anderes tun, als die Dokumente und Aussagen, die diese Vorwürfe stützen, in einem gesonderten Text zu veröffentlichen.

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie konfrontieren den Scientology-Chef mit sehr klaren Aussagen eines ehemaligen führenden Scientologyfunktionärs zum Thema Finanzen und den Umgang mit Mitgliedern. Der sagt: ‚Alles Lüge. Alles nicht wahr. Rache!‘ Was ich damit sagen will: Man kann viele dieser Fragen in einem Interview nicht klären.

Viel aufschlussreicher war eigentlich meine Tour durch die angeschlossenen Scientology-Anstalten, etwa das sogenannte Celebrity-Center, in dem Promis wie Tom Cruise und John Travolta auftauchten – und eine Handvoll B- und C-Schauspieler. Mir hatte man zum Beispiel eine Drehbuchautorin aus Deutschland aufgedrängt, die einen ziemlich wirren Eindruck gemacht hat. Das Management weiß, was es tut. Das Fußvolk nicht.“

Welchen Eindruck vermittelte Miscavige als Person?

Wolf Lotter: „Natürlich vertritt Miscavige die Positionen von Scientology. Aber nicht so, wie man sich das vielleicht vorstellt: Nicht so wie ein Roboter, sondern ebenso mechanisch wie jemand, der seine Marketingstrategie genau kennt. Insofern: Ich hatte, wie gesagt, nicht den Eindruck, dass ich jetzt hier im Zentrum des Bösen bin oder so was Ähnliches, sondern den – ja ohnehin viel aussagekräftigeren – Eindruck, dass ich es mit einer professionellen Verkaufstruppe zu tun hatte, die, aus meiner Sicht, genauso gut Lebensversicherungen verkaufen könnte.

Das ist ja das, was ich mit diesem Interview und vor allem meinen Texten auch darstellen wollte: Der Irrtum vieler Scientologykritiker ist ja, dass sie immer nur auf die Moral und die Emotionen abzielen. Aber das ist falsch. Bei Scientology geht es ums Geschäft. Und dieses Geschäft wird genauso betrieben wie viele Tausende andere Geschäfte auch. Und genau das zeigt sich ja auch am Auftritt von Scientology, etwa in ihrem neuen Deutschland-Hauptquartier in Berlin. Das sieht so aus wie eine Konzernzentrale, weil es eine Konzernzentrale ist.

Es geht darum, etwas zu verkaufen. Make money, make more money – das alte Credo von Hubbard.“

Zur Abrundung des Bildes ein Interview mit David Miscavige, das die amerikanische ABC Nightline 1992 geführt hat …

Das Fazit im sechsten Teil …

Fotos: Screenshots (2), Scientology-Publikationen (3)