1993 erreichte Scientology in den USA ihren Höhepunkt und setzte mit diesem Datum zu einem nie gesehenen Höhenflug an – vor allem in finanzieller Hinsicht. Der Stichtag war der 1. Oktober 1993, als eine Vereinbarung zwischen dem Internal Revenue Service (IRS) und Scientology in Kraft trat, der den Psychokult nicht nur seine Steuerschuld erließ, sondern ihr auch noch bescheinigte eine bona fide Religionsgemeinschaft zu sein.

Kurz zur Vorgeschichte: Am 18. Juli 1967 hob das Internal Revenue Service die Steuerbefreiung von Scientology auf, da diese aus Sicht des IRS ein kommerzielles Unternehmen bzw. gewinnorientiert war und demnach Steuern abführen musste. L. Ron Hubbard entschied im Jahr 1973, dass Scientology die offenen Steuerschulden nicht mehr bedient, die bis 1993 auf eine Milliarde Dollar angewachsen waren, während Scientology nur über Rücklagen von 125 Millionen Dollar verfügte.

Diese Ablehnung der IRS hielt jedem Anfechtungsprozess stand. Dann änderte Scientology die Strategie. Ende der 80er-Jahre bekam die IRS innerhalb von Scientology die oberste Priorität – neben Anwälten und Privatdetektiven war The National Coalition of IRS Wistleblowers die effektivste „Waffe“ beim Bekämpfen der Steuerbehörde geworden.

IRS Headquarter

Lawrence Wright in seinem Buch darüber: „Scientology belagerte die Steuerbehörde mit 200 Klagen in sämtlichen Gerichtsbezirken des Landes, zu denen weitere 2.300 Klagen kamen, die von einzelnen Scientologen angestrengt worden waren. … Scientology schaltete Anzeigen, in denen sie die Behörde angriff. Dabei verwendete sie Bilder von Publikumslieblingen wie John Wayne und Willie Nelson, die Besuch von Steuerprüfern erhalten hatten. …

Jedem Bürger, der über Übergriffe der Behörde berichten konnte, wurden 10.000 Dollar Belohnung versprochen. Privatdetektive durchforsteten das Privatleben von IRS-Mitarbeitern, wobei diese nicht davor zurückschreckten, sich als Steuerbeamte auszugeben oder an Fachseminaren teilzunehmen, um in Erfahrung zu bringen, ob unter den ‚Kollegen‘ jemand war, der ein Alkoholproblem hatte oder seine Ehefrau betrog. Scientology richtete eine falsche Nachrichtenagentur ein, die entsprechende Geschichten verbreitete. … Einige Staatsbeamte erhielten mitten in der Nacht anonyme Anrufe, Haustiere verschwanden.“

In einem Interview mit der Tampa Bay Times sagte Mark Rathbun, der damals neben David Miscavige die treibende Kraft bei Scientology gewesen ist: „Es war immer klar, dass die Handhabung der IRS die wichtigste Sache war, denn wenn du Steuerbefreiung hast, du als Religion anerkannt bist, wirst du vor Gericht anders behandelt, du hast eine Art von Immunität, die durch den Ersten Verfassungszusatz [der USA] geschützt wird.“

Blog Geheimdienst 7 Fred Goldberg

Nach einem Treffen im Oktober 1991 zwischen David Miscavige, Marty Rathbun und Heber Jentzsch (Präsident von Scientology) auf der einen Seite und IRS-Chef Fred T. Goldberg jr. und einem Dutzend Regierungsbeamten auf der anderen, war man sich rasch einig. Scientology stellte ihre Aktivitäten gegen das IRS ein und bekam im Gegenzug Steuerbefreiung.

Das entsprechende Abkommen trat am 1. Oktober 1993 in Kraft. Zwischen Scientology und der IRS wurde vereinbart, das Abkommen geheim zu halten und erst vier Jahre später brachte ein Bericht des Wall Street Journal das Abkommen ans Licht.

Hier der Artikel im Wall Street Journal

Und das geheim gehaltene Abkommen …

Dazu noch ein Artikel der New York Times, der auf die Art und Weise einging, wie dieses zustande kam …

Die ganze Geschichte über den „Religionscharakter“ von Scientology und warum dabei die IRS-Entscheidung so wichtig war finden Sie in der Kategorie „Religion“ Scientology oder komplett hier

Mit der IRS-Scientology-Vereinbarung schließt sich auch der Kreis zur Operation Snow White des Guardian’s Office (GO), die u.a. auch den Internal Revenue Service im Visier hatte. Im November 1974 verwanzten Scientology-Geheimdienstler einen Konferenzraum im vierten Stock des IRS-Gebäudes, um derart eine Besprechung abzuhören, bei der es um die Zukunft von Scientology gehen sollte. David Miscavige scheint über das „Material“ zu verfügen und ging bei seiner „Siegesrede“ 1993 darauf ein und bezeichnete diese pietätlos als „Wannseekonferenz, bei der die Endlösung für Scientology gesucht wurde“.

Man kann also davon ausgehen, dass Scientology auch noch in den 80er- und 90er-Jahren über genügend Material aus den ehemaligen GO-Aktivitäten verfügt – wahrscheinlich  bis heute.

Jeffrey Augustine ging kürzlich auf einen anderen Aspekt ein: Ist es möglich, dass der IRS seine Steuerbefreiung und die damit einhergehende Religionsanerkennung von Scientology widerruft bzw., dass die Behörde den Fall nochmals untersucht?

Bis 1998 gab es sogenannte Regional Commissioners des Internal Revenue Service, die man dahingehend anrufen konnte. Dann schaffte der Kongress diesen in der Ära von US-Präsident Bill Clinton ab und nun ist nur mehr der IRS Commissioners selbst, heute ein Mann namens John Koskinen, letztverantwortlich für Entscheidungen des IRS. Über ihn steht nur mehr Steve Mnuchin, der gegenwärtige Finanzminister.

Blog Geheimdienst 7 IRS-restructing-law

Es gäbe dann zwar noch einen Commissioner of Tax Exempt and Government Entities, im Moment Sunita Lough, die ebenfalls eine neuerliche Untersuchung einläuten könnte, aber es stellt sich eine konkrete Frage: Haben diese Herrschaften Lust darauf, dass die Scientology-Lawine mit The National Coalition of IRS Wistleblowers, Privatdetektiven und Anwälten wieder anrollt, die den IRS dereinst in die Knie zwangen?

Zumindest im Moment hat Scientology die US-Regierung bzw. deren Administration fest im Griff!

Blog Geheimdienst 7 Graham Berry

Anfang der 1990er-Jahre feierte Scientology nicht nur einen Sieg gegen den Internal Revenue Service, sondern es gelang auch, einen Scientology-Gegner auszuschalten. Graham Berry vertrat einige Gegner des Psychokults bzw. ehemalige Scientologen als Anwalt und sollte gemäß der Scientology-Doktrin vom Office of Special Affairs (OSA) ausgeschalten werden

Nachdem man im Scientology-Geheimdienst großen Wert darauf legte, sich nicht die Hände schmutzig zu machen, engagierte man neben den Scientology-Anwälten Kendrick Moxon & Co. auch den Privatdetektiv Eugene Ingram, um mit deren Hilfe Hilfe Robert Cipriano zu engagieren, um Graham Berry aus dem Verkehr zu ziehen

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Ingram (Foto) war ein ehemaliger Polizist, der unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen worden war und der sich nun für Moxon bzw. Scientology verdingte …

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Cipriano (Foto) kam aus dem Entertainmentbereich und sollte eine ganz spezielle Show bieten …

Blog Geheimdienst 7 Robert Cipriano

In einer Eidesstattlichen Erklärung am 5. Mai 1994 bezichtigte er Graham des gleichgeschlechtlichen Umgangs bzw. Verkehrs mit Minderjährigen. Ziel der Aussage: Entzug der Anwaltslizenz von Berry. Hier die Erklärung von Cipriano aus dem Jahr 1994 …

Und als PDF:   Declaration of Robert J. Cipriano – May 5, 1994

Berry ging in den nächsten Jahren dagegen vor und brachte Cipriano im Jahr 1999 dazu, diese Aussage zu widerrufen und gleichzeitig eine den Tatsachen entsprechende Eidesstattliche Erklärung abzugeben …

und als PDF:   Declaration of Robert J. Cipriano – August 5, 1999

Darin stand Schwarz auf Weiß zu lesen, dass Scientology, OSA, Moxon, Ingram und wie sie alle hießen, Cipriano mit Geld, Job, Auto, Haus usw. dazu gebracht hatten, die 1994er-Erklärung abzugeben und auch in den Jahren danach dafür gesorgt hatten, ihn bei Laune zu halten.

Die Aussage Cipriano’s war zwar entkräftet bzw. zurückgezogen, die Auseinandersetzung von Scientology und Graham Berry währte aber noch Jahre – hier ein Schriftstück aus dem Jahr 2010 …

Unabhängig davon ein Fernsehbeitrag aus dem Jahr 1999 …

Im nächsten Fall kommt Graham Berry ebenfalls vor: Scientology aka Office of Special Affairs vs. Cult Awareness Network (CAN).

CAN war einerseits die bundesweit bekannteste Einrichtung in Bezug auf die Sektenproblematik in den USA und stand andererseits in direkter Opposition zu Scientology. Im Artikel des TIME-Magazins zitierte Richard Behar die damalige Leiterin von CAN, Dr. Margaret Singer (Foto): „Scientology ist vermutlich das rücksichtsloseste, am ehesten im klassischen Sinn terroristische, streitlustigste und lukrativste Sekte, die es je in diesem Land gegeben hat.“

Blog Geheimdienst 7 Magret Singer

Zu Jahresbeginn 1992 strengten einzelne Scientologen zwischen 40 und 50 Klagen gegen CAN an, um dagegen vorzugehen, dass es Scientologen nicht gestattet war, an Veranstaltungen von CAN teilzunehmen, da sie dies als Diskriminierung empfanden. Anwaltlich vertreten wurden viele Scientologen von Kendrick Moxon. Während der „gläubige“ Scientologe Moxon argumentierte, dass diese Prozesse die Diskriminierung jener Personen ansprechen sollte, die das Network eigentlich reformieren möchten, meinte Daniel A. Leipold, der CAN repräsentierte, dass diese nur den Sinn hätten, im Rahmen einer Kampagne von Scientology das Network zu zerstören.

Im Jahr 1996 musste das Cult Awareness Network dann nach einem verlorenen Prozess mit einer Schadensersatzsumme von 1,8 Millionen Dollar Bankrott anmelden. Beim Verfahren ging es um Jason Scott, 24, der Mitglied der Pfingstbewegung war und um Ausstiegshilfe ersucht hatte. Die Jury befand, dass er gewaltsam von einem CAN-Deprogrammierer behandelt worden war. Kendrick Moxon vertrat Scott vor Gericht und die Pfingstgemeinde bezahlte sein Honorar. Scott entließ nach dem Prozess Moxon, engagierte einen neuen Anwalt, Graham Berry, und wollte derart verhindern, dass CAN seine Arbeit nicht fortsetzen konnte. Berry sollte versuchen, eine diesbezügliche Zahlungsvereinbarung für CAN auszuhandeln.

Der Versuch misslang und das Cult Awareness Network reichte schließlich die Zahlungsunfähigkeit ein, im Zuge derer der Name, das Logo und die Telefonnummer von CAN durch eine Gruppe aufgekauft wurde, die ein Anwalt vertrat, der Scientologe ist. Während Scientology offiziell nichts mit dem Käufer zu tun haben möchte, zierte eine Aufklärungsbroschüre über Scientology, die vom nunmehrigen New Cult Awerness Network versandt wurde, eine begeisterte Beschreibung, die besagte, dass mit Scientology „das Glück und die Zustände für einen selbst und anderen verbessert werden würden.“

Wenn man sich nun an die Sekteninformation wandte, sprach man mit einem Kult, wie er im Buch steht!

Unabhängig davon agierte Scientology bzw. deren Office of Special Affairs nach der Jahrtausendwende anders und fiel nur mehr in den alten alten Modus zurück, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden ließ …