Nach der Jahrtausendwende schwelgte Scientology im Hochgefühl, genoss die neuen „Möglichkeiten“, die sie nach 1993 hatten und setzten voll auf Cruise, Travolta & Co., um endlich an den großen Rädern der Macht drehen zu können. John Travolta ging ein und aus bei der Bush-Administration und Tom Cruise war sowieso bei amerikanischen Politikern allgegenwärtig.

David Miscavige träumte wahrscheinlich schon von der Umsetzung von International City, die L. Ron Hubbard in einem Vortrag 1964 beschrieben hat – gleichzusetzen mit der völligen Machtübernahme von Scientology. Hier der Vortrag …

Und als PDF:   INTERNATIONAL CITY

Die International Association of Scientologist (IAS) brummte und spuckte immer größere Summen aus, die Miscavige u.a. für die Operation Ideale Orgs verwendete, die weltweit aus dem Boden schießen sollten.

Gleichzeitig hatte das Office of Special Affairs (OSA) ein ganz triviales Problem, das aber nicht gleich erkannte oder im Größenwahn übersehen wurde: Bevor man das Guardian’s Office aufgelöst bzw. umgetauft hatte, verfügte man über einige Hundertschaften an willigen Geheimdienstlern und einigen Tausenden „Freiwilligen“, jetzt hatte man einige Hausanwälte und deren Privatdetektive.

Aber noch lief es auf den Feldern Politik und Religion – hier der entsprechend Auszug aus meinem Blog „Religion“ Scientolology

Und als PDF:   Blog Religion Scientology

Feinde von Scientology gab es aber nach wie vor genug, die es zu bekämpfen galt, wie z.B. South Park

Blog Geheimdienst 8 Trey Parker and Matt Stone

Im November 2005 hatten sich Trey Parker und Matt Stone in dem von ihnen geschaffenen Satire-Format in der Episode Schrankgeflüster mit Scientology und deren Inhalten auseinandergesetzt. Ausgangspunkt, dass die darauf folgenden Gegenmaßnahmen von Scientology publik wurden, war Mark Rathbun, der ein entsprechendes Dokument des Office of Special Affairs (OSA) von Scientology bloggte. DER SPIEGEL dazu: „Schluss mit lustig: Scientology spähte South Park-Macher aus.“

Die Süddeutsche Zeitung zum gleichen Thema: „Dass Scientology mit Kritik nicht besonders gut umgehen kann, ist bekannt. Doch mit welchen Mitteln die Sekte gegen die Macher der Fernsehserie South Park vorgeht, schockiert selbst liberale Amerikaner. … In Deutschland, wo Scientology nie einen guten Stand hatte, sind solche Fälle Legion. In den USA hingegen halten die meisten Scientology nur für eine besonders bizarre Bude auf dem großen Bazar der Religionen.“

Nochmals DER SPIEGEL: „In ihrer Cartoon-Serie South Park war Matt Stone und Trey Parker nie etwas heilig. … Ob Christentum, Islam oder Scientology: Jeder bekam sein Fett weg. … In dem vom 16. April 2006 datierten Memo, das der Scientology-Aussteiger Marty Rathbun vor kurzem … gepostet hat, heißt es unter anderem: ‚Um einen direkten Zugang zu Stone und Parker zu finden, wurden einige Freunde von ihnen ausgemacht.‘ Dazu sollen der Drehbuchautor Matthew Prager, sowie die Schauspieler John Stamos und Rebecca Romijn gehören.“

Hier das angesprochene Memo …

Dazu DER SPIEGEL, Hollywood Reporter und Huffington Post und der Link zur South-Park-Scientology-Folge Schrankgeflüster

2009 rückte die BBC ins Fadenkreuz von Scientology und offenbarte das verbliebene Arsenal des Scientology-Geheimdienstes …

Blog Geheimdienst 8 John Sweeney BBC

Die BBC brachte am 14. Mai 2007 einen Panorama-Beitrag mit dem Titel Scientology an Me von John Sweeney. Sweeney hatte davor in den USA recherchiert, wurde dabei von Unbekannten verfolgt usw., bevor er von Scientology-Sprecher Tommy Davis sechs Tage lang intensiv betreut wurde. Davis hatte sein eigenes Kamerateam dabei, tauchte bei jeder Gelegenheit auf und filmte seinerseits das BBC-Kamerateam und John Sweeney.

Während einer Interviewsituation verlor Sweeney dann die Fassung und brüllte in einer sonderbar abgehackten Kadenz, wie Lawrence Wright sie beschreibt: „Hören Sie zu! Sie waren nicht dabei! Am Anfang! Des Interviews! Weder hörten! Noch zeichneten Sie! Das Interview! Auf!“ Das beherrschte Auftreten von Davis hob sich deutlich vom Verhalten des wutentbrannten und am Ende völlig entnervten BBC-Journalisten ab, der sich später live bei den Zuschauern entschuldigte.

Scientology nutzte den Sweeney-Ausraster um eine Gegendokumentation zu erstellen, in der die Methoden Sweeneys angeprangert wurden und verteilte 100.000 DVDs davon an Politiker, Beamte, religiöse Gruppen, Medien und Wirtschaftstreibende. Am 8. Mai registriert die kleine britische Agentur Amazinginternet aus dem Londoner Vorort Twickenham eine Internetseite mit dem bezeichnenden Namen „bbcpanorama-exposed.org“. Auf der Seite wurde auf eine Sonderausgabe der Scientology-Zeitschrift Freedom hingewiesen, die vermeintliche Fehler der BBC dokumentierte und Journalisten und Vertreter der anglikanischen Kirche zu Wort kommen ließ.

Am 10. Mai stellte Scientology Sweeneys Ausraster ins Netz, der von über 1,6 Millionen Menschen gesehen wurde und dessen Anzahl der Kommentare rekordverdächtig ist. Dabei dürfte der Scientologe John Wood, der den Clip ins Netz gestellt hat, die Kommentare so eingestellt haben, dass negative nicht freigeschalten wurden, wie DER SPIEGEL mutmaßte.

Am 13. Mai schrieb John Travolta einen Brief an die BBC, der in Auszügen an die Medien gesandt wurde. Am Tag des BBC-Beitrag stand zu lesen, dass „er [Sweeney] kein Forum für seine Vorurteile, seine Scheinheiligkeit und seinen Hass bekommen [sollte].“ Am Abend lief dann auf BBC der Panoramabeitrag Scientology and Me, in dem die ganze Geschichte der Provokation erzählt wurde. Im deutschen Sprachraum bekam er den Titel Scientology: Die Kirchensekte, ist aber trotzdem sehenswert bzw. aufschlussreich …

Danach arbeitete sich OSA an der Tampa Bay Times und deren Artikelserie The Truth Rundown (2009) ab, wobei eine weitere Strategie sichtbar wurde, wo aus der Not, nämlich keine Geheimdienstpersonal zu haben, eine Tugend gemacht werden sollte …

Blog Geheimdienst 8 Tampa Bay Times

Anstatt wie in der Vergangenheit gegen Zeitungen mit Klagen oder persönlichen Angriffen vorzugehen, heuerte Scientology drei prominente Journalisten an, die ihrerseits eine investigative Studie über die Tampa Bay Times und deren Journalisten Joe Childs und Thomas C. Tobin erstellen sollten.

Dabei profitierten Scientology von der Journalistenkrise in den USA: Innerhalb weniger Tage meldeten sich 50 Journalisten auf ein diesbezügliches Inserat im Internet. Russell Carollo und Christopher Szechenyi ergatterten schließlich den Job, Steve Weinberg sollte sich als Redakteur an der Studie beteiligen. Carollo hatte 1998 einen Pulitzer gewonnen und Szechenyi hatte u.a. für das renommierte US-TV-Magazin 60 Minutes gearbeitet und einen Emmy gewonnen. Weinberg war lange Professor für Journalismus und Chef des Verbandes Investigative Reporters and Editors (IRE), er lehrte 30 Jahre lang an der renommierten Journalistenschule der Universität Missouri.

Weinberg, Carollo und Szechenyi hatten es zur Bedingung gemacht, sich vorab bezahlen zu lassen und dass Scientology den Bericht nur unverändert veröffentlichen dürfe.

Scientology hat die Studie bis heute nicht veröffentlicht und so ist nur das alte Konzept im Scientology-OSA-Magazin Freedom nachzulesen, wo unter dem Titel Merchants of Chaos in gewohnter Manier vorgegangen wird.

Mit den Abgängen der ehemals rechten Hand von David Miscavige, Marty Rathbun, und des Geheimdienstchefs Mike Rinder hatte Scientology ein echtes Problem. Dazu kamen Anonymous, das Internet an sich und eine ständig wachsende Kritikerszene – und zu allem Überdruss auch noch die  Independent Scientologists, die sich formierten …

Blog Geheimdienst 8 Marty Rathbun Sea Org

Mary Rathbun stieß 1978 zur paramilitärischen Sea Org von Scientology und sollte 1981 in der sogenannte All Clear Unit David Miscavige begegenen, die geschaffen wurde, um das zu machen, was der Name besagt: Alles zu beseitigen, was Scientology gefährlich werden könnte.

Im Laufe der Jahre wurde Rathbun dann die angesprochene „Rechte Hand“ des Scientology-Führers und blieb sie bis 2004. Er räumte u.a. im Fall von Lisa McPherson „auf“, orchestrierte das Vorgehen gegen den Internal Revenue Service und war darüber hinaus auch noch der persönliche Auditor von Tom Cruise.

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Und während David Miscavige in seine Allmachtsphantasien abtauchte, neben Idealen Orgs das „Hole“ zur perfekten Einrichtung erkor, suchte sein bester Lieutenant 2004 das Weite und war erst einmal 5 Jahre nicht zu sehen und zu hören.

Im Rahmend des Truth Rundowns tauchte er wieder auf und wurde innerhalb kürzester Zeit die Gallionsfigur der unabhängigen Scientologen. Die Reaktion von Scientology ließ nicht lange auf sich warten und die Squirrel Busters wurden von Scientology in Marsch gesetzt, um Rathbun zu bedrängen …

Diese und Privatdetektive, Videoüberwachung usw. brachten die Rathbun’s dann dazu, Scientology und deren Führer zu verklagen – man konnte in den Prozessakten Fair Game in Reinkultur studieren.

Der Prozess lief blendend und Rathbun wurde zur Lichtgestalt von Ex-, Anti- und Independent-Scientologen. Auch der ehemalige Geheimdienstchef Mike Rinder war mittlerweile mit von der Partie und man freute sich ob des zu erwartenden Sieges vor Gericht.

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Monique und Marty Rathbun, Mike Rinder …

Doch es kam alles anders: Die Rathbun’s zogen die Klage zurück, feuerten ihre Anwälte und dann verstörte Marty Rathbun seine Anhängerschaft auch noch mit einer Videoserie, in der er Dokumentationsfilme, in denen er selbst mitgemacht hatte, in Bezug auf Fehlinterpretationen in Bezug auf Scientology auseinander nahm.

Nachdem diese Videos angeblich auch noch von Scientology übernommen wurden, war es fast schon auffallend, dass Rathbun wieder heim in’s Reich strebte – zumindest aber einen prall gefüllten Geldkoffer erwartete.

Nachzulesen ist das alles auf dem Blogs von Tony Ortega, der Suchbegriff Marty Rathbun förderte eine Fülle von Berichten über denjenigen zutage.

Womit ich bei der angesprochenen Frage bin: Was ist, wenn alles ganz anders ist?

Ich habe mich in meiner Aufarbeitung des Geheimdienstes von Scientology, egal ob GO oder OSA, mit vergangenen Operationen und sonstigen Aktivitäten von Scientology auseinandergesetzt, über die man mittlerweile viele Details weiß. Das zeichnet ein Un-Sittenbild des Psychokult – gelinde ausgedrückt.

Aber unabhängig von der Vielzahl der Enthüllungen ist es trotzdem so, dass Scientology weiter die US-Regierung „lobbyiert“ (z.B. Greg Mitchell), andererseits durch „potente“ Scientologen, wie dem „Wal“ Bob Duggan auf höchster politische Ebene verkehrt. Es ist daher nur mehr bedingt notwendig, dass Scientologen kleine Spenden zu Hunderten überweisen, um einen Politiker ins Boot zu holen, Duggan & Co. machen größere Summen möglich. Ich habe das Szenario in einem Blog beschrieben, der hier zu finden ist.

Die Werkzeuge mögen sich sich im Laufe der Zeit geändert haben, die Vorgaben sind dabei immer die Gleichen geblieben. Und nachdem die Kritikerszene, aber auch die Independents als Feinde von Scientology angesehen werden, liegt der Schluss nahe, dass diese unterwandert werden würden – ich müsste mich schon schwer in den Scientologen täuschen, wenn sie das nicht versuchen würden.

Oder umgekehrt gefragt: Warum sollte Scientology nicht so agieren?

Und damit wäre ich bei einer Steilvorlage für jeden Verschwörungstheoretiker: Wer ist der Plant, der von Scientology aktiviert wurde?

Fotos: College Humor, BBC, Tampa Bay Times, Scientology-Publikationen, The Underground Bunker