Herbert M. (Name bekannt) absolvierte Ende der 90er-Jahre das Narconon-Programm in Itzehoe bei Hamburg. Itzehoe ist mittlerweile geschlossen, so wie auch andere Narconon-Einrichtungen in Bad Schliersee, Rimbach (beides in Bayern) oder Ellmau (Österreich). In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es keine Narconon-Einrichtung mehr. Hier das Interview über die Erfahrungen von Herbert M. …

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Narconon Itzehoe …

Sie waren einige Monate bei Narconon – wie kam es dazu?

Ich arbeitete in einer Firma, die fast ausschließlich Scientologen beschäftigte. Ich war Scientologe, hatte jedoch immer wieder Schwierigkeiten  – u.a. mit der Scientology-„Ethik“, aber auch mit der Tatsache, dass die Führungsebene mit Hilfe der Scientology-Techniken alles so drehte, dass es für mich wenig Spielraum gab. Ich begann zu trinken. Irgendwann fiel das auch meiner Umgebung auf: Ich war am Ende. Ich wurde danach mehr oder weniger zu Narconon „verfrachtet“ – die Kosten dafür übernahm ein Verwandter.

Wie war Ihr erster Eindruck?

Eigentlich ganz gut. Das Narconon-Gebäude lag mitten in der Natur und die Leute schienen OK zu sein.

Gab es Ärzte vor Ort?

Nein.

Keinen einzigen?

Nein. Nur im Ort gab es einen Arzt. Bevor man das Programm begann, wurde jeder untersucht. Dabei ging es vor allem darum, ob jemand z.B. eine Herzschwäche hatte oder es sonstige, deutliche Anzeichen gab, die ein „Schwitzprogramm“ unmöglich machten. Was ich im Nachhinein überhaupt nicht nachvollziehen kann und für äußerst fahrlässig halte, ist die Tatsache, dass kein Arzt in der Narconon-Einrichtung war. Niemand hatte medizinisches Know-how – einzig scientologisches „Know-how“.

Kam es dadurch zu Problemen?

Oh ja! L. Ron Hubbard [Gründer von Scientology] wusste vielleicht über klassische Drogen wie Alkohol, Heroin, Kokain und diverse Tabletten mehr oder weniger Bescheid. Nichts Besonderes, medizinisches Allgemeinwissen halt.

Aber es war die Zeit, wo immer mehr Kids Designerdrogen konsumierten. Alkohol ist ungefähr 24 Stunden nach  dem letzten Schluck aus dem Körper. Heroin nach zirka vier Tagen. Aber die künstlichen Drogen waren ein ganz anderes Kaliber. So wie die Ersatzdrogen, wie Methadon.

Und der Entzug war unvergleichbar! Leute, die schon mehrere Tage wach waren, zum Beispiel. Sie tranken nichts, wollten nichts essen. Und kein Narconon-Mitarbeiter, der sich damit auskannte, war da. Man blieb stur beim „Schwitzprogramm“.

Einer flüchtete halbnackt aus der Sauna. Wir verfolgten ihn durch die Wälder der Umgebung, konnte ihn aber nicht mehr finden. Die einzige offizielle Antwort auf seine Aussage, dass ihn die Saune verrückt mache, war zuvor: „Mach weiter, das vergeht“.

Und das war kein Einzelfall!

Kurz gesagt: Heute weiß ich, dass es völlig unverantwortlich war – und letzten Endes Narconon als Ganzes völlig unverantwortlich ist.

Aber da zeigt sich die Überheblichkeit der Scientologen. Sie glauben über den Dingen zu stehen. Glauben, dass Hubbard der Einzige ist, der Antworten  hat. Psychologen sind für sie Verwirrte, Ärzte leiden an grundsätzlichen Missverständnissen, Psychiater sind Verbrecher und so weiter.

Wieder zurück zu ihrem ersten Tag: Was passierte da?

Jeder kommt nach seiner Ankunft zuerst in ein Zimmer, in dem er Tag und Nacht bewacht wird. Der „Patient“ geht durch die erste Entgiftungsphase, mit einem kalten Entzug vergleichbar. Dies dauert ungefähr eine Woche. Dann beginnt man mit dem Programm. Mir war dieses Programm nicht fremd. Jeder Scientologe macht schon relativ bald den sogenannten Purification Rundown (Reinigungsprogramm), ein Programm, das angeblich den Körper von Giften befreien soll. Tage- bis wochenlanges Schwitzen in der Sauna und massenhaftes Einnehmen von Vitaminen, Mineralien und Niacin. Ein „Überwacher“ bestimmt jeden Tag die immer höher steigende Dosierung. Den Rest des Tages wird gearbeitet, meistens Reinigungsarbeiten im Haus oder Garten – und jeder musste Kurse belegen.

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Was waren das für Kurse?

Obwohl man bei Narconon jeden Zusammenhang mit Scientology leugnet, sind sämtliche Kurse natürlich Scientology-Kurse, die den „Patienten“ an Scientology binden sollen. Da ich ja Scientologe war, kannte ich all diese Kurse, kannte die „Studiertechnologie“, die „Kommunikationsübungen“, die Scientology-„Ethik“ usw. Den Führungskräften von Narconon wurde bald klar, dass ich auch als Kursleiter eingesetzt werden könnte.

Aber Sie waren doch als „Patient“ dort?

Ja, das stimmt. Aber nach ca. zwei Wochen Aufenthalt  begann sich das zu vermischen. Ich war nützlich. Und da ich keine Probleme hatte, nichts zu trinken und ich nicht wollte, dass mir langweilig wird, war ich behilflich. Und zwar in jedem Bereich. Nicht nur als Kursleiter, sondern auch als Berater der Abteilung die dafür verantwortlich war, neue Personen für Narconon zu akquirieren. Später war ich dann derjenige, der die Co-Leitung der „Überwachung“ der Patienten beim Schwitzprogramm inne hatte und zum Schluss war ich so etwas wie der persönliche Berater der dortigen Chefin.

Sie meinen, Sie arbeiteten für Narconon?

Ja. Mir wurde schnell klar, dass niemand so genau wusste, was er/sie da eigentlich machte. Es waren Scientologen, die eine Minimalausbildung hatten. Alles liebe Leute, aber ahnungslos. Aber als Scientologen waren sie davon überzeugt, dass L. Ron Hubbard sowieso alles wusste und man nur seine Regeln befolgen muss – und das dann schon funktionieren wird.

Wie lange waren Sie dort?

Das offizielle Programm hatte ich in 3 Wochen abgeschlossen. Das ging alles sehr schnell. Insgesamt blieb ich über 3 Monate.

Hat Narconon ihre Alkoholsucht erfolgreich bekämpft?

Anfangs trank ich nichts, aber die Situation des Alltags holte mich rasch wieder ein und ich begann wieder zu trinken. Danach folgten Jobverlust und Scheidung.

Wie geht es Ihnen heute?

Sehr gut. Ich habe ungefähr 10 Jahre gebraucht, um wieder ich selbst zu werden. Das heißt, es dauerte schon eine Weile, mich von der Gehirnwäsche von Scientology befreien.

Mein Alkoholsucht habe ich selbst in den Griff bekommen und seit vielen Jahren kein Problem mehr damit – heute trinke ich hie und da ein gutes Glas Wein zum Fisch oder ein kleines Bier zum Gulasch.

Aber was noch viel wichtiger ist: Ich bin wieder Mensch. Mit Gefühlen, Stärken und Schwächen.

Fotos: Scientology-Publikationen (3)