Auf der einen Seite erfreut sich der Psychokonzern der Steuerbefreiung durch das Internal Revenue Service (IRS) und scheffelte in den letzten beiden Jahrzehnten Millionenbeträge. Diesbezüglich macht Scientology auch ganz gezielt Werbung – Devise: „Let’s pay Uncle Sam for it!“. Die Scientologen in den USA können jene Beträge, die sie Scientology bezahlen, von der Steuer absetzen …

Blog 23 IRS

Auf der anderen Seite verfolgt Scientology ein Programm, das bereits 1969 in einer geheimen Schrift unter dem Namen Verteidigung der Ziele von L.. Ron Hubbard festgelegt wurde. Darin heißt es bei den Zielen fünf bis sieben: „Ein Neubeleben der Gesellschaft, in der wir operieren, erreichen. – Gewinnen einer überwältigenden öffentlichen Unterstützung. – Das Nutzen ähnlicher Gruppierungen als Verbün­dete“

Blog 23 HCO PL Target - Defense T5-7

Die komplette Schrift …

Bis 1993 bestanden diese Ziele nur auf dem Papier. Im Scientology-Geheimdienst, der damals noch Guardian Office (GO) hieß, wurden trotzdem die entsprechenden Weichen gestellt: In Bureau 6, dass sich mit der Social Coordination beschäftige, wurden „Initiativen“ gegründet, um diesen zu entsprechen: CCHR (Commission on Human Rights), Appplied Scholstics, Narconon, Criminon.

Nach der Umbenennung des Guardian Office in Office of Special Affairs wurden bis auf die Antipsychiatriebewegung CCHR die anderen Aktivitäten pro forma ausgegliedert, dafür aber ausgeweitet – hinzu kam u.a. Jugend für Menschenrechte.

Nach dem 1. Oktober 1993 sah sowieso alles ganz anders aus. Der Psychokult kam aus der Schmuddelecke und machte sich gezielt die Eigenheit der Amerikaner zunutze, dass Religion an sich ein Tabuthema darstellt bzw. dies jedermann so lösen kann, wie er es möchte. In einem Land der zig tausenden Sekten und Kulte war es plötzlich auch kein Problem mehr, Scientologe zu sein – man verfügte ja über den Stempel des Internal Revenue Service und war damit „amtlich“.

Man setzte daraufhin gezielt auf Lobbyisten aller Art, die einerseits die Botschaft von Scientology verbreiteten und anderseits Verbündete im Religions- oder Menschenrechtssektor suchten.

Blog 23 Joe Griboski

Einer ist Joseph Joe Grieboski (Foto) und THE INSTITUTE on Religion & Public Policy. Das geleakte OSA-Programm, in dem alles beschrieben wurde, was dieser für Scientology „machen sollte“, sagt eigentlich alles …

Blog 23 Greg Mitchell

Ein anderer ist Greg Mitchell, der allein zwischen 2005 und 2012 satte 590.000 Dollar überwiesen bekam, um für Scientology zu lobbyieren, wie RadarOnline berichtete.

Auf dessen Homepage fand sich auch ein Foto, das ihn gemeinsam mit dem Ehepaar Clinton zeigte, als Hillary gerade US-Außenministerin war. Die Homepage The Mitchell Firm gibt es immer noch, das Foto nicht mehr – der Daily Caller hatte gerade noch vor dessen „Abflug“ berichtet …

Blog 23 Mitchell Clintons Quelle Daily Caller

Weniger überraschend: Greg Mitchell bekam von Scientology ein Production Program verpasst, das glücklicherweise geleaked wurde …

Der Dritte im Bund ist der ehemalige republikanische Kongressabgeordnete Dan Burton (Foto), dessen Aufgabe es ist, ausschließlich für CCHR (Citizen Commission on Human Rights) zu lobbyieren wie LegiStorm zu berichten wusste …

Blog 23 Dan Burton

Um dem Ganzen einen Rahmen zu geben, wurde 2012 von Scientology ein repräsentatives National Affairs Office in Washington eröffnet …

National Affairs Office Washington 2012

Womit ich beim Stichwort Europa wäre, denn ähnliches wurde bereits 2003 initiiert, als in Brüssel ein sogenanntes European Office for Public Affairs and Human Rights eröffnet worden war. In der Rue de la Loi gelegen und damit strategisch in der Nähe der Europäischen Union.

European Office for Public Affairs and Human Rights 2003

La Stampa berichtete darüber: „Sie beabsichtigen gut sichtbar zu sein, wie dies von einer Journalistin des Le Soir aufgedeckt wurde, die sich in eine Brüssler Scientology-Veranstaltung eingeschlichen hatte. ‚Wir sind im Krieg’, erklärte der Sprecher bei der Bekanntgabe des Kaufs des neuen Gebäudes. Im Krieg ‚gegen die europäischen Institutionen, die aufgerüttelt und erzogen werden müssen’. Erstes Ziel ist dabei natürlich das Europäische Parlament.

‚Ein heimtückisches Unterwandern’, sagte ein Abgeordneter, der anonym bleiben möchte, ‚sie sind sehr präsent durch ihre beiden Vereine Jugend für Menschenrechte und Citizen Commission on Human Rights’ . … Bei der Europäischen Kommission arbeiten 20.000 Beamte. ‚Sie organisieren Seminare zum Thema ‚Kampf den Drogen’ in der Nähe der Gebäude der Kommission. Sicher werden einige Beamte … dort hingehen und so in das Netzwerk gelangen’, sagte der Verantwortliche eines Antisektenvereinigung, der anonym bleiben möchte.

Am 26. Juni 2006 organisierte Scientology eine Konferenz, um den Internationalen Tag gegen Drogenabhängigkeit der Vereinten Nationen zu feiern. Auf den Einladungen prangte aber nicht das UN-Logo, sondern jenes von Scientology.

Das Büro des Kommissionspräsidenten Barroso lud Scientology 2004 zu einem Treffen verschiedener Religionsvertreter ein. Als ihn zahlreiche Europa-Abgeordnete deshalb zur Rede stellten, ließ er jeden Kontakt zur Sekte dementieren.“

European Office for Public Affairs and Human Rights Eröffnung

Bei der Eröffnung des Scientology-OSA-Gebäudes war neben der Promi-Scientologin Julia Migenes (rechts im Bild) auch Universitätsprofessor Gerhard Besier (links) anwesend, der damals noch dem renommierten Hannah-Arendt-Institut vorstand. Auszüge aus der Rede von Gerhard Besier: „Es bereitet mir beträchtliches Vergnügen, heute hier anlässlich der Eröffnung des neuen und sehr eindrucksvollen Büros der Church of Scientology International zu sprechen.

Es wird eine Schlacht geführt für die Glaubensfreiheit und die Freiheit des Gottesdienstes. Sie findet statt in Deutschland und quer durch Europa, wo der Konflikt zwischen der nach dem Gesetz garantierten Glaubensfreiheit und der tagtäglichen Wirklichkeit religiöser Diskriminierung oft aufbricht. …

Von allen neuen religiösen Bewegungen in Deutschland ist Scientology bei weitem die sichtbarste und überstand viele Angriffe. Die Schlacht ist noch nicht vorüber. … Scientologen geben nicht auf. Sie sind entschlossen. Sie halten durch. Sie zeigen Mut angesichts von Hindernissen.“

Blog 23 Eric Roux

Weniger auffällig zieht Eric Roux (Foto) in den letzten Jahren seine Kreise. Er ist auf dem Papier Präsident von Scientology in Frankreich und taucht im Gerichtsgebäude von Brüssel genauso auf, wie auf einer Konferenz zum Thema Religionsfreiheit.

Mittlerweile schießen alle möglichen Institutionen aus dem Boden, bei denen es immer um die angesprochene Religionsfreiheit und Menschenrechte im Allgemeinen geht. Neben allerlei Wissenschaftlern und sonstigen Interessensvertretern ist garantiert Scientology bzw. Eric Roux nicht weit. Sei es bei einer OSCE-Konferenz, die 2013 in Warschau stattfand ….

OSCE 2013, Warschau

Oder bei einer ähnlichen zum Thema Religionsfreiheit, die im September 2013 im US Capitol ablief …

Table Ronde sur la liberté religieuse à l'international - Sept 2013 - US Capitol - Eric Roux

Wenn dann 2016 US-Senator Marco Rubio im Capitol der Thomas Jefferson International Religious Freedom Champion Award verliehen wird ist Eric Roux ebenfalls anwesend, um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten für dessen Verdienst zu würdigen …

Blog 23 Thomas Jefferson International Religious Freedom Champion Award 2016

Auch für ein gemeinsames Foto mit der ebenfalls ausgezeichneten US-Kongressabgeordneten Anna Eshoo und Sue Taylor, OSA Washington D.C., hatte Roux Zeit …

Blog 23 Roux Eshoo Taylor

In England beschritt Scientology einen anderen Weg, um als Religion gesehen bzw. anerkannt zu werden: Die Scientologen Louisa Hodkin und Alessandro Calcioli wollten in einer Scientology-„Kapelle“ heiraten, aber auch dass diese Hochzeit gesetzlich anerkannt wird. Eine diesbezügliche Klage landete nach 5 Jahren vor dem Supreme Court, der ein abschließendes Urteil sprechen musste.

Die fünf Richter warfen 2013 dabei die seit 158 Jahre geltende Definition, dass es sich dann um eine Religion handelt, wenn eine Gottheit angebetet wird, über Bord – was an und für sich kein Fehler ist. Als Agnostiker kann ich auch ihren Urteilsspruch durchaus nachvollziehen: Lord Toulson, einer der fünf Richter, sieht Religion heutzutage als „spirituelles und nicht-weltliches Glaubenssystem, das den Platz der Menschheit im Universum und deren Verhältnis zur Unsterblichkeit beschreibt“. Ein Gott kann, muss aber nicht angebetet werden, aber „der Glaube muss vorhanden sein, dass es mehr darüber zu wissen gibt, wie die Natur des Menschen und dessen Verhältnis zum Universum beschaffen ist, als dies Verstand und Wissenschaft festlegen“.

Blog 23 England
Alessandro Calcioli und Louisa Hodkin …

Hodkin, Calcioli und die Scientologen jubelten, die Richter bekamen leichten Kopfschmerz darüber und die englischen Politiker schlugen Alarm, denn der Supreme Court hatte ein Urteil zum Objekt gefällt, ohne dabei die Konsequenzen für das Subjekt zu berücksichtigen: Sosehr eine Definition von Religion überfällig gewesen ist, so wenig Informationen über Scientology ließen sie bei ihrem Urteil einfließen.

Und so heirateten die beiden und man darf gespannt sein, was das Office of Special Affairs in England als nächstes auf Lager hat, um zur vollständigen Akzeptanz als Religionsgemeinschaft zu gelangen bzw. zur Steuerbefreiung – denn um die geht es in Wirklichkeit.

Fotos: Scientology-Publikationen (5), The Mitchell Firm, Eric Roux (3), The Underground Bunker (3), The Telegraph